Das Widerstandsrecht aus Art. 20 (4) Grundgesetz

11. Februar 2021 0 Comments

Das grundgesetzliche Widerstandsrecht war für mich stets ein Rätsel. Denn es ist offensichtlich, dass gerade dann, wenn der Bürger dieses Recht gegen die Staatsgewalt nutzen wollte (und müsste), dann wird dieser grundgesetzliche Rechtsanspruch nicht gewährt werden. Denn die ganze Staatsgewalt wird in solchen Situationen denen zur Verfügung stehen, gegen die sich der Anspruch letztlich richtet. Die Chancen stehen schlecht, dass sich ein solcher Widerstand dann einklagen lässt – er wird justiziabel bleiben, denn das normative Recht kann, naturgemäß, kein Recht gewähren dass sich gegen sich selbst wendet. Gleichwohl wurde das grundgesetzliche Widerstandsrecht geschaffen. Warum eigentlich?

Der ehemalige CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth, der durch den Bundesrat im Mai 2020 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde, äußerte sich nach dem Bericht vom 10.02.2021 auf Welt.de, kürzlich zu dem Widerstandsrecht. Ein Recht zum Widerstand bestehe dann, wenn versucht werde, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen und andere Abhilfe nicht möglich wäre. Nach Welt.de sei er allerdings der Auffassung: „Dass dies heute der Fall sein soll, lässt sich nicht ernstlich vertreten“. Neben anderen Aussagen ist dem zitierten Artikel zu entnehmen, dass bereits mehr als 880 Verfahren mit Bezug zur Corona-Pandemie beim Bundesverfassungsgericht anhängig sein sollen, Tendenz steigend.

Die Ernennung von Herrn Harbarth wurde teils sehr stark kritisiert, vielleicht war sie sogar die umstrittenste Personalfrage des höchsten Gerichts. Bezweifelt wurde nicht seine juristische Qualifikation, sondern seine zukünftige richterliche Unvoreingenommenheit, ja Unparteilichkeit.

Jeder mag für sich beurteilen, ob es, angesichts der anstehenden Verfahren, für einen Richter angemessen ist, sich derzeit zu akuten Verfassungsfragen in Interviews zu äußern und sich dabei mit deutlichen Bewertungen und starken Worten nicht zurückzuhalten. Die Verhaltensrichtlinien der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts meinen dazu unter II. Nr. 11: „…Gutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen werden von den Richterinnen und Richtern ebenso wenig abgegeben wie Prognosen zum Ausgang bei Gericht anhängiger oder absehbar zu entscheidender Verfahren“. Nun ist ein Interview noch keine „Prognose“ des Präsidenten, doch kann man aus den gemachten Aussagen bestimmte Folgerungen ziehen. Meine Folgerung aus den Äußerungen ist, dass die Bundesregierung durch Herrn Harbarth keine wesentlichen Korrekturen befürchten muss.

Im Gegensatz dazu bringen ehemalige Bundesverfassungsrichter wie Ferdinand Kirchhoff, Hans-Jürgen Papier und Udo Di Fabio ihre Sorge um den Zustand des Staates in Interviews deutlich zum Ausdruck.

Ähnlich besorgt ist auch der Autor Rudolf Brandner, der sich in dem Artikel auf Tichys Einblick vom 02.11.2020 mit dem Staatshandeln beschäftigt und dies mit dem grundgesetzlichen Widerstandsrecht verbindet. Seine Gedanken sind tief, eher rechtsphilosophisch.

Brander schreibt etwa: „Nicht der Staat als gesetzgebende und rechtssetzende Gewalt, sondern nur der Bürger selbst kann sich das Widerstandsrecht verleihen: Es beruht ganz auf der ethischen Selbstermächtigung des Einzelnen.“